Familienspaß im Ahornwald
Ein Gastbeitrag vom in Kanada lebenden Journalisten Jörg Michel
Im Frühjahr läuft im Osten Kanadas die Ernte von Ahornsirup auf vollen Touren. Besucher können den Bauern dabei über die Schultern schauen
Ich gebe es gerne zu: Ich bin ein Schleckermaul und Süßes macht mich schwach – auch hier in Kanada. Besonders angetan hat es mir der Ahornsirup. Ob auf einem Pfannkuchen, über dem Müsli oder auch in einer Marinade: Der süße Saft gehört in meine Küche wie der Zucker oder das Salz. So wie es sich für einen echten Wahl-Kanadier gehört, schließlich gibt es kaum etwas kanadischeres als Ahornsirup.
Ahornsirup gehört in Kanada zu nationalen Symbolen wie Eishockey, der Biber oder der rot uniformierte „Mountie“. Das feuerrote Ahornblatt schmückt die rote Nationalflagge. Wir in Kanada nennen den süßen Rohstoff gerne unser „flüssiges Gold“ und das ist kein Zufall. Über zwei Drittel der weltweiten Mengen werden hier bei uns in Kanada produziert, gewöhnlich an nur wenigen Tagen im Frühjahr.
Auch deswegen freue ich mich auf das Frühjahr, denn dann beginnt in den Wäldern im Osten Kanadas die Ernte des süßen Sirups. Für viele Kanadier ist es ein echtes Highlight des Jahres. Auch Besucher haben ihre Freude dabei. Zum Beispiel im Kortright Centre in Vaughan, einer populären Ausstellungsfarm in Ontario, etwa eine Stunde mit dem Auto außerhalb von Toronto gelegen.

Auf der Farm ist noch Winter, aber die Temperaturen sind nicht mehr zu kalt. Wir stehen vor einer verschneiten Holzhütte im Wald und schauen zu, wie ein Bauer heißen Ahornsirup auf ein Schneebett gießt, das er auf einem Tisch ausgewalzt hat. Es dauert ein paar Momente, bis der goldene Sirup erkaltet. Dann rollt der Bauer die klebrige Masse um einen Holzstab – fertig ist das süße Naschwerk!
Ahorn-Lollis wie dieser sind nicht nur bei Kindern populär. Hunderte Menschen besuchen an diesem Tag den Hof, um dort den Bauern bei der Arbeit über die Schultern zu schauen und den frisch gewonnenen Ahornsirup an diversen Verkaufsständen zu probieren. Als Lolli, Bonbon oder auch flüssig über frisch gebackenen Pfannkuchen oder Bohnen. „Cabane à Sucre“ nennen sich die populären Stände in Québec, auf Englisch nennen wir sie „Suger Shacks“, übersetzt: Zuckerhütten.
Rund um die Zuckerhütten im Kortright Centre ist an diesem Tag einiges los: Kinder und Jugendliche springen durch den Wald, sie lachen und naschen. Mütter und Väter schieben ihre Kinderwagen über vereiste Wege, Pferdeschlitten mit Besuchern pflügen sich durch den hart gefrorenen Schnee. An Demo-Ständen im Wald zeigen uns die Landwirte, wie der köstliche Ahornsirup gewonnen wird.

Ein Landwirt erklärt: Wichtig ist das richtige Wetter. März und April sind die idealen Monate, denn da liegen die Temperaturen nachts gewöhnlich noch unter dem Gefrierpunkt, während sie tagsüber oft über die Null-Grad-Grenze klettern. Das ständige Auftauen und Gefrieren sorgt dafür, dass zuckerhaltiger Saft aus den Wurzeln von Ahornbäumen steigt und sich zwischen Rinde und Stamm ansammelt.
Dann müssen die Landwirte die Bäume nur noch anbohren. Im Kortright Center hängen an vielen Bäumen silberne Eimer aus Metall, manche sind durch Plastikschläuche miteinander verbunden. Durch sie fließt der flüssige Saft zu Scheunen, wo er zunächst gefiltert und gereinigt wird. Danach muss er eingekocht werden, damit er sich verdickt und der Zuckergehalt auf über 66 Prozent steigt.

Die Ureinwohner, die Ahornsirup schon vor den Europäern als Süßungsmittel nutzten, ritzten einst Keile in die Bäume und erhitzten den Saft auf heißen Felsen. Wie die ersten Siedler vorgingen, erleben wir in einer anderen Hütte, in der drei Bäuerinnen arbeiten. Sie tragen traditionelle Outfits mit dicken Pullis und Röcken aus Wolle. Vor den Frauen dampfen drei riesige Töpfe über dem offenen Feuer.
Mit Kellen rühren sie in der goldfarbenen Brühe, um die Konsistenz des Ahornsirups zu überprüfen. Etwa 40 Liter Saft sind nötig, um am Ende einen Liter Ahornsirup zu gewinnen, erklären sie uns. Das traditionelle Eindicken dauert mindestens 24 Stunden, manchmal sogar mehrere Tage. Ein Geduldsspiel, denke ich mir. Doch ein Glück gibt es ja die moderne Technik. Die macht das ganze Prozedere heute einfacher.
Wir stapfen durch den Schnee zu einer weiteren Scheune. Darin arbeiten ein paar Männer an riesigen Alukesseln, die entweder mit Feuer oder Propan beheizt werden. Ein paar Schritte weiter fachen sie gerade einen solchen Kessel mit ein paar Holzscheiten an. In der Scheune ist zischt und raucht es, während der Kessel auf 104 Grad Celsius hochheizt und so das Wasser aus dem Saft kocht.

Statt einem Tag dauert es hier nur fünf bis sechs Stunden, bis der Ahornsirup fertig ist. Die Helligkeit des Sirups können die Bauern dabei nicht immer beeinflussen. Generell gilt, je wärmer draußen das Wetter, desto dunkler und intensiver wird er im Geschmack. In den Läden wird er später in verschiedene Qualitätsstufen eingeteilt, in Europa reichen die Klassifizierungen von AA (sehr hell) bis D (sehr dunkel).
Für die Kinder im Ahornwald von Vaughan stehen solche Details natürlich nicht im Vordergrund. Mit großen Augen beobachten sie, wie die Bauern in den Zuckerhütten noch mehr Leckereien zubereiten. Nach den Lollis arbeiten sie auf ihrem Schneebett gerade an Kaubonbons aus Ahornsirup. Die machen nicht nur Kinder hungrig, sondern auch Erwachsene wie mich. So lecker kann Ahornsirup sein!
ENDE
Informationen:
Ahornsirup in Kanada: https://media.destinationcanada.com/en-CA/experiences/maple-season
Ahornsirup erleben in Ontario: https://www.destinationontario.com/en-ca/articles/celebrate-maple-syrup-season-ontario
Kortright Centre, Vaughan: https://maplesyrupfest.com/kortright/
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Gerne organisieren wir für Sie Ausflüge und Aktivitäten in Ontario
Schreiben Sie uns von Canada Dream Tours Ihre Reisewünsche: mail@canadadreamtours.de
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Jörg Michel arbeitet als freier Journalist, Buchautor und Auslandskorrespondent in Kanada. Nach über zehn Jahren bei einer Tageszeitung in Berlin war er 2010 nach Kanada ausgewandert. Dort lebte er unter anderem in Banff, Jasper und Victoria bevor er nach Calgary zog. In Kanada hat er alle Provinzen und Territorien bereist, meist mehrmals. Im 360-Grad-Verlag sind von ihm zwei Reiseführer „abseits der ausgetretenen Pfade“ erschienen: einer über Alberta, einer über British Columbia.
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