Gastbeitrag: Wein an den Niagara-Wasserfällen

Veröffentlicht am 27.11.2024

Robert
Jörg Michel - Blog

Wein an den Niagara-Wasserfällen

Ein Gastbeitrag vom in Kanada lebenden Journalisten Jörg Michel

Ich bin in Franken aufgewachsen, in einer Region mit Weinbergen soweit das Auge reicht: Trollinger, Lemberger, Kerner. Als Kind spielte ich zwischen Weinreben, als Schüler half ich bei der Lese, später genoss ich so manches Viertele. Der Wein und Weinanbau gehörten zur Kultur, in der ich aufwuchs.

Als ich vor fünfzehn Jahren nach Kanada zog, hatte ich in Sachen Wein keine großen Hoffnungen. Was sollte man schon erwarten in einem Land mit sechs Monaten Winter? So dachte ich, bis ich zum ersten Mal durch den Süden von Ontario fuhr. Auf der zweistündigen Fahrt von Toronto zu den Niagarafällen sah ich ein Weingut nach dem anderen an mir vorbeiziehen. Wein – in Kanada?

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Die Fahrt durch das Weinanbaugebiet in Niagara war idyllisch. In weiten Kurven ging es am Niagara River entlang, vorbei an Farmen, Parkanlagen und historischen Gutshäusern. Auf einmal tauchte am Straßenrand ein markantes Schild mit einem rot-weiß-blauen Familienwappen auf, dazu ein Fahnenmast mit deutscher Fahne.

Meine Neugier war geweckt. Über eine Auffahrt ging es zu einem Gutsgebäude und ich hatte fast das Gefühl, ich sei irgendwo am Neckar oder in der Pfalz. Der Winzer begrüßte mich mit Handschlag und Pfälzer Dialekt.  Klaus Reif stammt ursprünglich aus Neustadt an der Weinstraße, nach Kanada kam er in den Achtzigerjahren.

Damals steckte der Weinbau in Kanada noch in den Kinderschuhen, in Niagara gab es nur ein Dutzend Kellereien. Heute gilt die Region im Südosten Kanadas mit über 120 Gütern als größtes Anbaugebiet des Landes. Gründe für einen Besuch gibt es das ganze Jahr: Im Frühjahr und Sommer lockt die Region mit Weinfesten, im Herbst mit der Weinlese, im Winter mit dem Eiswein.

Klaus Reif stellt auf seinem Hof „Reif Estates Winery“ auf rund 50 Hektar Wein und Eiswein her. Angefangen hatte er mit einer Angestellten, heute hat er über 50 Mitarbeiter. Über 300.000 Besucher kommen im Jahr bei ihm vorbei, darunter auch Touristen aus dem Ausland. Manche besuchen ihn auch im Winter, pünktlich zur Ernte von Eisweinen, für die Kanada weltweit bekannt ist.

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Meine Bilanz nach der ersten Weinprobe mit Klaus Reif: Die Weine aus Niagara haben im Vergleich zu deutschen Tropfen oft weniger Säure, dafür aber mehr Alkohol. In der alten Heimat würden sie wahrscheinlich als Spätlese durchgehen. Elegant im Geschmack, aber etwas süßer. Nach ein paar Verkostungen fuhr ich weiter flussaufwärts zu „Peller Estates“.

 „Peller Estates“ gehört in Sachen Weinbau zu den Riesen in Kanada. Das börsennotierte Weingut wirkte auf mich wie ein riesiges Schloss. Auf mehreren Flügel verteilen sich dort Verkostungs- und Verkaufsräume, Bars und Restaurants, eine Terrasse, Veranstaltungsräume für Hochzeiten. Sogar ein Eiskeller für die Eisweine wird geboten. Die „Icewine Lounge“ sieht aus wie ein Iglu aus der Arktis.  

Ich streifte mir wie alle anderen Besucher einen hofeigenen Parka mit Winterpelz über. Durch eine Kühlhaustür ging es in das Innere der Lounge. Der Verkostungsraum besteht aus 13 Tonnen Eis und wurde auf minus zehn Grad heruntergekühlt, ungefähr die Temperatur, bei der in Niagara im Dezember Eisweintrauben geerntet werden. Den Wein gibt’s in tiefgekühlten Gläsern – so viel Show muss sein.

Eiswein ist in Kanada dank des kühlen Klimas ein echter Hingucker: Nirgendwo sonst auf der Welt werden so viele süße Dessertweine produziert wie in Kanada, auch für den Export ins Ausland. Der größte Teil davon stammt aus Niagara. In den Duty-Free-Shops auf kanadischen Flughäfen gehören Eisweine neben dem Ahornsirup zu den beliebtesten Mitbringseln.

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Die Natur hilft tatkräftig mit: Der Süden Ontarios liegt klimatisch auf der Höhe des Bordeaux oder der Toskana. Positiv wirkt sich auch der nahe Lake Ontario aus. Im Sommer mildert der See die Hitze ab, im Winter die Kälte. Die Sonne scheint um rund ein Drittel länger als in der Pfalz und fast so lange wie in Kalifornien. Die Böden bestehen aus Sand und Lehm – ein ideales Terrain für weiße Weine.

Doch manchmal schlägt auch in Niagara der sprichwörtliche kanadische Winter zu. Für diesen Fall haben viele Winzer ihre Anbauflächen mit Windrädern versehen, mit denen sie die am Boden liegende kalte Luft aufwirbeln. Auf meiner Weiterfahrt in Richtung Niagarafälle sah ich viele, mit weißen Propellern gespickten Rebflächen.

Kurz vor den Wasserfällen hielt ich noch bei „Ravine Vineyard“, einer kleinen Kellerei, die sich auf ökologische Weine spezialisiert hat.  Wie so viele Weingüter in Niagara war auch „Ravine Vineyard“ lange eine Obstplantage, bevor die Eigentümer auf Weinreben umsattelten und seitdem gut am Wein-Boom in Kanada verdienen.

Ich genoss besonders die würzigen Rieslinge und die roten Cuvée aus Sauvignon Blanc, Cabernet Franc und Merlot. Fein war auch die lokale Küche. Zum Mittagessen saß ich in einem Zelt inmitten der Weinreben und probierte Köstlichkeiten vom gutseigenen Acker oder der dazugehörigen Schlachterei: geräucherte Schinken, eingelegte Antipasti, eingewecktes Gemüse.

Am Abend erreichte ich die Niagarafälle. 13 Millionen Menschen besuchen die kanadische Seite jedes Jahr – auf der US-Seite sind es acht Millionen. Von einem Aussichtspunkt aus beobachtete ich, wie pro Sekunde 3.000 Tonnen Wasser in die Tiefe rauschen. Bunte Scheinwerfer verwandelten die Fälle in ein Festival der Farben. Beeindruckend. Später im Hotel gab’s ein Glas Riesling – aus Niagara natürlich.  

ENDE

Infos:
Wo kann man in Niagara Weine probieren?
– Reif Estate Winery (reifwinery.com), 15608 Niagara Parkway, geführte Weintouren mit Probe ab 25 Dollar.
– Peller Estates (peller.com) , 290 John Street East, geführte Weintouren 50 Dollar, Weinprobe ab 18 Dollar.
– Ravine Vineyard (ravinevineyard.com), 1366 York Road, Touren 45 Dollar, Weinprobe ab 25 Dollar.

Schreiben Sie uns von Canada Dream Tours Ihre Reisewünsche: mail@canadadreamtours.de
Gerne organisieren wir für Sie Weintouren ab Toronto oder inkludieren diese in eine unserer individuell gestalteten Mietwagentouren in der Region.
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Jörg Michel arbeitet als freier Journalist, Buchautor und Auslandskorrespondent in Kanada. Nach über zehn Jahren bei einer Tageszeitung in Berlin war er 2010 nach Kanada ausgewandert. Dort lebte er unter anderem in Banff, Jasper und Victoria bevor er nach Calgary zog. In Kanada hat er alle Provinzen und Territorien bereist, meist mehrmals. Im 360-Grad-Verlag sind von ihm zwei Reiseführer „abseits der ausgetretenen Pfade“ erschienen: einer über Alberta, einer über British Columbia.

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