Mit dem Wohnmobil fahren wir auf dem Stewart-Cassiar Highway in die Great Wilderness im Norden von British Columbia!
Ein Gastbeitrag vom in Kanada lebenden Journalisten Jörg Michel
Schiff ahoi! Es ist kurz nach Mitternacht. Die Sterne funkeln am Firmament, als die „MV Northern Expedition“ im Hafen von Prince Rupert anlegt. Angekommen! Mit der Fähre sind wir durch die Inside Passage in den Norden von British Columbia gefahren, nun geht es weiter zur nächsten Etappe mit dem Wohnmobil. The Great Wilderness nennen die Kanadier die Route, die uns von hier durch eine der entlegensten Regionen im Westen Kanadas bis nach Whitehorse bringt.
Wir übernachten in einem Campingplatz im Wald, bevor wir am nächsten Morgen Prince Rupert verlassen und dem Skeena River nach Osten folgen. Das Panorama unterwegs ist atemberaubend. Der Fluss schlängelt sich parallel zum Yellowhead Highway durch Täler und Schluchten. Immer wieder halten wir für einen Fotostopp. Der Skeena River ist der zweitlängste Fluss in British Columbia und mit 570 Kilometern der längste in Nordamerika, der noch in seinem natürlichen Flussbett verläuft.
An einer Bootsrampe nahe der Ortschaft Terrace wartet Skipper Rob Price auf uns. Mit seinem Speedboot will er uns auf eine Tagestour über den mächtigen Fluss mitnehmen. „Bis zum Bau der Eisenbahn verkehrten auf dem Fluss Schaufelraddampfer, lange waren sie das wichtigste Transportmittel hier“, erzählt Price während er sein Jetboot mit 425 Pferdestärken flussaufwärts steuert. Das Boot hüpft und springt auf dem Wasser, während der Skipper mit 40 Stundenkilometern durch Stromschnellen und enge Schluchten brettert. Im Hintergrund leuchten die schneebedeckten Küstenberge in der Sonne.

Nach einer Stunde erkennen wir am Flussufer vier Totempfähle. Sie gehören zu Gitaus, einer indigenen Siedlung. Die Ureinwohner leben seit Jahrtausenden hier am Ufer, ihre Kultur prägt die Region. Sie leben vom Reichtum der Natur, von den üppigen Lachsen und Heringen. Die indigenen Sprachen ihrer Vorfahren sprechen allerdings nur noch wenige im Dorf, berichtet der Älteste Darren Bolton, der in den Sommermonaten Besucher zu den Totems und Langhäusern bringt. Im Dorf zeigt er uns Artefakte aus seinem Alltag: geschnitzte Masken, Zeremoniengegenstände, Festumhänge. Das Dorf liegt unweit des Kitselas Canyon, einer engen Stelle im Fluss, in dem sich immer wieder Stromstellen bilden.
Als wir anderntags mit dem Wohnmobil nahe Hazelton einen Nebenarm des Flusses überqueren, gelangen wir ins Ksan Historical Village. Das rekonstruierte Dorf besteht aus bemalten Plankenhäusern aus Zedernholz, die als Museum und Kulturzentrum der Gitxsan-Ureinwohner dienen. Über Nacht hat es geregnet, in der Luft liegt der Duft von Moosen und feuchtem Holz. „Der Geruch von frischer Zeder ist für uns der Duft des Lebens“, erklärt die indigene Gästeführerin, während sie uns in einige der Bauten führt. „Wir werden auf einer Zedernmatte geboren und in einer Zedernkiste begraben.“
Die Häuser im Dorf sind prächtig ausgestattet. Vor dem Eingang des Wolfshauses thront ein Totempfahl, in dessen Zedernholz Künstler eine stilisierte Wolfsmaske geschnitzt haben. Im Inneren hängt an der Querwand ein Gemälde, das einen Küstenwolf zeigt, dazu ein wertvolles Kupferschild, traditionell ein Statussymbol für einen Häuptling. „Das Wolfshaus wird traditionell für Potlatchs verwendet“, berichtet die Gästeführerin. Potlatchs sind Stammesfeste, bei denen wichtige Ereignisse im Dorf gewürdigt werden: die Inthronisierung eines Häuptlings oder eine Hochzeit etwa. Lange waren die Feste in Kanada verboten, weil die Regierung die Ureinwohner in die westliche Gesellschaft assimilieren wollte. Doch das ist zum Glück vorbei. „Heute feiern wir wieder wie eh und je“, berichtet der Guide.

Auf unserer Tour nach Norden kommen wir unweit des Yellowhead Highway im indigenen Dorf Kitwanga an einer weiteren Ansammlung von Totems vorbei. Manche sind fast 150 Jahre alt. Sie stehen schief, verwittert und ausgebleicht im morgendlichen Nebel und wirken wie mystische Figuren aus einer anderen Zeit und Welt. Sie gehören zu keinem Museum und wurden auch nicht für Touristen aufgestellt. Für die Bewohner haben sie noch immer eine wichtige spirituelle Bedeutung.
Auf einer Brücke überqueren wir erneut den Skeena River. Danach wird die Fahrt richtig einsam. Wir fahren auf dem Stewart-Cassiar Highway, der neben dem Alaska-Highway die einzige ausgebaute Straße ist, die Reisende aus dem Süden von British Columbia in den abgelegenen Norden bringt. Die auch als Highway 37 bezeichnete Route ist 875 Kilometer lang, ziemlich holprig und wenig befahren.

Stundenlang fahren wir über den Teer, geradeaus, immer geradeaus. Der Motor und der Tempomat laufen auf Hochtouren. Wir passieren verfallene Holzhütten, verrostete Autowracks, geschlossene Tankstellen, einsame Campingplätze und sehen keine Menschenseele weit und breit. Ab und zu kommt uns ein anderes Wohnmobil entgegen, gelegentlich huscht ein Schwarzbär durch den Straßengraben.
In Meziadin Junction zweigen wir in der Wildnis auf eine Nebenroute ab. Außer einer Tankstelle und ein paar Blockhäusern gibt es hier nichts als Bäume, Wälder und Seen. Nach einer Kurve taucht auf einmal ein Gletscher in der Frontscheibe des Campers auf. Er liegt eingebettet zwischen schneebedeckten Bergen und glitzert in der milden Sonne. Der Bear Glacier ist nicht besonders groß, bequem vom Auto aus zu sehen. Als ich vor dreißig Jahren zum ersten Mal an ihm vorbeifuhr, reichte seine Zunge noch bis in den Gletschersee an der Straße. Mittlerweile hat sie sich weit ins Gebirge zurückgezogen.

Die Route wird immer enger, bis wir eine Siedlung mit frisch gestrichenen Häusern, sattgrünen Vorgärten und gut bestückten Läden erreichen. Wir sind in Stewart, einem Pionierstädtchen an der Grenze zu Alaska, scheinbar irgendwo am Ende der Welt. Stewart liegt am Ende des Portland-Kanal, mit 155 Kilometern Länge gilt er als einer der längsten pazifischen Fjorde Nordamerikas. Zwar ist das offene Meer noch weit entfernt, doch die Luft riecht salzig und nach Seetang.
Von hier werden wir morgen einen kurzen Abstecher nach Alaska unternehmen und dabei ganz ohne Pass und ganz legal in die USA einreisen. Wie es uns dabei ergangen ist, erfahrt ihr im nächsten Blog!
ENDE
Bilder zur Reise
Informationen:
Gerne buchen wir für Sie das passende Fahrzeug, planen mit Ihnen zusammen eine Fahrt auf dem Stewart-Cassiar Highway in den hohen Norden und organisieren Ihre persönliche Westkanada Reise.
Schreiben Sie uns von Canada Dream Tours Ihre Reisewünsche: mail@canadadreamtours.de
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Jörg Michel arbeitet als freier Journalist, Buchautor und Auslandskorrespondent in Kanada. Nach über zehn Jahren bei einer Tageszeitung in Berlin war er 2010 nach Kanada ausgewandert. Dort lebte er unter anderem in Banff, Jasper und Victoria bevor er nach Calgary zog. In Kanada hat er alle Provinzen und Territorien bereist, meist mehrmals. Im 360-Grad-Verlag sind von ihm zwei Reiseführer „abseits der ausgetretenen Pfade“ erschienen: einer über Alberta, einer über British Columbia.
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