Mit dem Wohnmobil fahren wir auf dem Stewart-Cassiar Highway in die Great Wilderness im Norden von British Columbia!
Ein Gastbeitrag vom in Kanada lebenden Journalisten Jörg Michel
Es geht geradeaus, immer geradeaus. Über den Stewart-Cassiar Highway sind wir mit dem Wohnmobil nach Stewart gelangt, einem Pionierstädtchen an einem Fjord an der Grenze zu Alaska, irgendwo am Ende der Welt. Stewart gehört zu British Columbia, das benachbarte Dorf Hyder zu den USA. Die Grenze zwischen beiden Orten ist die einzige in Nordamerika, an der man ohne Kontrollen in die USA darf.
Gesagt, getan. Dazu treffen wir den Rentner Gord McMillan, der uns mit seinem Tourbus von „Whitecap to Icecap Adventures“ kurzerhand über die Demarkationslinie fährt. Einzig ein grünes Schild über der Straße gibt einen Hinweis, dass wir ins Ausland fahren: Welcome to Hyder, Alaska. 90 Bewohner leben jenseits der Grenze, doch es kommt uns weniger vor. Die Straßen scheinen wie ausgestorben.
„Hyder hat keine Landverbindung zum Rest der USA, daher verzichten die Amerikaner hier auf Pass- und Zollkontrollen“, erklärt Gord, während er mit seinem Bus über eine staubige Piste durch das Dorf holpert. Es geht vorbei an verwitterten Fassaden, verfallenen Hütten, überwucherten Gärten, rostigen Autowracks. Die einzige Tankstelle des Orts hat schon lange geschlossen.

Doch wir finden auch Lebenszeichen in Hyder. In einem kleinen Souvenirshop an der Hauptstraße treffen wir Caroline Stewart, eine Amerikanerin, die ihre Sommer in Hyder verbringt. Caroline verkauft nicht nur Souvenirs, sondern auch das Allernötigste für den Alltag: Lebensmittel, Getränke, Drogeriewaren. Auf Wunsch kocht sie auch gerne einen Kaffee oder Tee. Ihr Mini-Laden ist der einzige weit und breit.
Wir verlassen die Geisterstadt Hyder und brettern mit Tourguide Gord und seinem Bus über eine Waschbrettpiste in Richtung Berge. Unserem Wohnmobil wollen wir den holprigen Abstecher nicht zumuten, aber Gord hat alles im Griff. Über steile Serpentinen fährt er uns immer weiter nach oben in die Wildnis. Es geht stets am Hang entlang, beim Blick nach unten wird uns ganz schwindelig.
Nach gut einer Stunde und dem mehrmaligen Überqueren der Grenze erreichen wir den Salmon Glacier, mit 18 Kilometern der größte auf dem Landweg erreichbare Gletscher in Nordamerika. Der Blick vom Aussichtspunkt hoch über dem Tal ist phänomenal. Wie eine dreigespaltene Zunge schmiegt sich das eisige Wunderwerk an schneebedeckte Gipfel. Die Sonne blendet unsere Augen.

Vier Stunden dauert unser Abstecher zum Gletscher, dann sind wir wieder zurück in Kanada. Bei der Wiedereinreise ins Ahornland werden wir von kanadischen Zöllnern kontrolliert – ein Glück haben wir unseren Ausweis dabei. Doch alles nicht der Rede wert. Man empfängt uns freundlich. Auf einem RV-Park am Rande der Stadt brutzeln wir uns ein paar Würstchen über dem offenen Feuer.
Die folgenden Tage auf dem Stewart-Cassiar Highway geben uns einen Eindruck davon, wie es sich anfühlt, in der Wildnis zu leben. Hunderte von Kilometern vergehen, ohne eine einzige Siedlung. Ab und zu springt ein Schwarzbär aus dem Straßengraben, und hin und wieder begegnet uns ein weiteres Wohnmobil. Jeder Rastplatz, jede einsame Hütte oder abgelegene Tankstelle wird zu einer kleinen Oase der Freude.
Wir übernachten mitten in der Natur, auf malerischen Campingplätzen der Parkbehörde, die alle direkt am Ufer eines Sees liegen. Wildnis, so weit das Auge reicht. Am Meziadin Lake freuen wir uns auf die eher seltenen Steckdosen, die uns ein Gefühl der Zivilisation vermitteln. Am Kinaskan Lake sechzig Kilometer weiter wandern wir durch die Einsamkeit zu den Upper Cascade Falls, tosenden Wasserfällen.

Der Sonnenaufgang am Kinaskan Lake ist spektakulär, und schon geht es auf dem Stewart-Cassiar Highway weiter in Richtung Norden. Die Straße wird enger und holpriger, am Gnat Pass erreichen wir auf 1.241 Metern eine Passhöhe, den höchsten Punkt der Reise. Das Hochplateau ist umgeben von wilden, schneebedeckten Gipfeln, die wahrscheinlich nur wenige Menschen je erklommen haben.
Im Tal angekommen halten wir kurz im Örtchen Dease Lake, tanken und kaufen ein. 500 Seelen leben hier, es ist die größte Siedlung weit und breit. Die Sonne steht schon tief, als wir schließlich den Boya Lake am Nordende des Stewart-Cassier Highway erreichen. Mit einem Leihkanu gleiten wir in den goldenen Sonnenuntergang. Unser Bärenspray haben wir griffbereit, doch glücklicherweise bleibt es ungenutzt.
Abends funkeln am Lagerfeuer die Sterne über uns, und die Milchstraße spannt sich wie ein strahlend weißes Band bis zum Horizont. Dann fällt die Stille ein – eine unvorstellbare Ruhe. Manchmal ist es so still, dass das leise Plätschern eines Bibers im Wasser wie ein Sturm auf hoher See klingt. Ab und zu raschelt es im Gebüsch neben dem Camp. Ein Bär? Ein Wolf? Oder doch nur eine Maus?

Nach über 800 Kilometern Fahrt auf dem Stewart-Cassiar Highway erreichen wir anderntags die Kreuzung mit dem Alaska-Highway. Was für eine Veränderung! Die letzten Stunden bis nach Whitehorse fühlen sich wie auf einer Autobahn an. Kolonnen von Lastwagen rollen an uns vorbei, dazu Bauwagen und Autos mit Wohnwagen. Wild ist die Landschaft noch immer, doch wie Wildnis fühlt es sich nicht mehr an.
Kurz vor dem Ziel entdecken wir in einem Moor am Straßengraben eine Elchkuh mit ihrem Kalb. Nach zehn Tagen auf der Straße wirken die beiden wie ein letzter Gruß, ein letzter Hauch von Natur, bevor wir das Wohnmobil ein paar Stunden später am Flughafen zurückgeben. Nun dauert es nicht mehr lang, bis wir die Hochhäuser von Vancouver im Flugzeugfenster sehen. Die Großstadt hat uns wieder.
ENDE
Informationen:
Gerne buchen wir für Sie das passende Fahrzeug, planen mit Ihnen zusammen eine Fahrt auf dem Stewart-Cassiar Highway in den hohen Norden und organisieren Ihre persönliche Westkanada Reise.
Schreiben Sie uns von Canada Dream Tours Ihre Reisewünsche: mail@canadadreamtours.de
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Jörg Michel arbeitet als freier Journalist, Buchautor und Auslandskorrespondent in Kanada. Nach über zehn Jahren bei einer Tageszeitung in Berlin war er 2010 nach Kanada ausgewandert. Dort lebte er unter anderem in Banff, Jasper und Victoria bevor er nach Calgary zog. In Kanada hat er alle Provinzen und Territorien bereist, meist mehrmals. Im 360-Grad-Verlag sind von ihm zwei Reiseführer „abseits der ausgetretenen Pfade“ erschienen: einer über Alberta, einer über British Columbia.
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