Gastbeitrag: Winter in den Rocky Mountains

Veröffentlicht am 15.02.2023

Robert
Jörg Michel - Blog

Winter in den Rocky Mountains, ein Gastbeitrag von Jörg Michel

Jörg in Kanada (1) – Ein Leben im Winterwunderland

Meinen ersten Winter als Neubürger in Kanada werde ich nie vergessen. 13 Jahre ist es her, als ich von Berlin in die Rocky Mountains zog. Ich hatte wenig Ahnung, was mir bevorstehen würde. Schon damals waren die Winter in Deutschland recht mild, kein Vergleich zu denen hier. In Alberta dagegen fallen die Temperaturen immer mal wieder unter minus 30 Grad – und darauf war ich gänzlich unvorbereitet.

Klar hatte ich meine langen Unterhosen eingepackt, meine Fellmütze und Ohrenschützer. Meine Eltern hatten mir in einem Akt der Fürsorge selbst gestrickte Socken mitgegeben. Doch schnell musste ich erkennen: In Kanada reicht das nicht immer. Mein altes Thermometer aus Europa war in der klirrenden Kälte jedenfalls schon nach wenigen Wochen einfach stehen geblieben. Buchstäblich eingefroren.

Doch ich lernte schnell. Ich kaufte mir eine Winterparka, wie man sie aus der Arktis kennt. Ich ließ mir zeigen, wie man den Heizungsfilter auswechselt, damit mir zu Hause nicht die warme Luft ausgeht. Ich schuf mir ein Auto mit Motorheizung an, damit ich morgens nicht stehenbleibe. Dass Magnetkarten am Bankautomaten oder im Parkhaus bei minus 30 Grad nicht immer funktionieren, begriff ich schnell.  

Mittlerweile habe ich mich an die harten Winter gewöhnt. Wenn ich spazieren gehe, ziehe ich mir selbstverständlich Spikeschuhe an. Wenn es schneit, schippe ich schnell, damit sich der Gehsteig vor dem Haus nicht irgendwann in eine Eisbahn verwandelt. Viele Besucher kennen Kanada ja nur im Sommer – doch der Winter gehört zum Land wie der Ahornsirup oder der rot uniformierte Polizist.

Wir Kanadier sagen immer: Wenn Du den Winter schon nicht ändern kannst, dann nehme ihn besser an. Das ist in Calgary, wo ich mittlerweile wohne, nicht besonders schwierig. Die Berge liegen vor meiner Haustüre und mit ihnen ein Winterwunderland, wie man es in Deutschland kaum noch findet. Wie ich meine Winterwochenenden verbringe? Kommen Sie doch einfach mal mit…

 

  1. Zum Eiswandern:

Zuletzt war es mit minus fünf Grad verhältnismäßig warm – perfekte Verhältnisse zum Eiswandern. Mein liebstes Revier liegt etwa 45 Minuten mit dem Auto von Calgary entfernt nahe Canmore am Tor zu den Rocky Mountains: Der „Grotto Canyon“ gehört zur Region Kananaskis, einer bevorzugten Spielwiese der Einheimischen zu jeder Jahreszeit, besonders aber auch im Winter.

Normalerweise rauscht im Grotto Canyon ein Bach in Richtung Tal. Im Winter ist das Bett zugefroren und man kann sozusagen „über das Wasser laufen“. Also habe ich mir Schuhkrallen über meine Wanderstiefel gespannt und lief los. Die Spikes bohrten sich in das Eis, mit jedem Schritt knirschte und knackste es unter den Sohlen. Das Eis war wie frisch poliert und leuchtete hell in der winterlichen Sonne.

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Der Wind pfiff über die glatte Oberfläche, an den Felswänden des Canyons hingen bizarre Eiszapfen. An einigen Stellen hatte die Sonne den Eispanzer aufgebrannt und an der Oberfläche hatten sich Pfützen gebildet. Doch kein Problem, das Eis war noch immer dick genug. Schritt für Schritt wanderte ich auf dem Eis in den Canyon, bis ich nach etwa einer Stunde einen gefrorenen Wasserfall erreichte.  

Die „Grotto Falls“ sind etwa zehn Meter hoch und hängen wie erstarrte Figuren im Fels. In der Steinwand über dem Eis blinkten ein paar Metallhaken für Eiskletterer und Adrenalin-Freaks. Die hingen mit ihren Klettereisen im gefrorenen Wasserfall und stemmten sich Schritt für Schritt nach oben. Faszinierend anzusehen – aber nichts für mich. Doch das ist eine Geschichte für ein anderes Mal…

Mehr Infos zum Grotto Canyon und der Region Kananaskis:
Grotto Creek Canyon Trail – Kananaskis Country | Alberta Parks

 

  1. Zum Schneeschuhwandern:

Ich bin ein leidenschaftlicher Wanderer. Daher hatte ich mir schon früh Schneeschuhe gekauft, jene etwas sperrigen Teile aus Kunststoff, Alu oder Hartholz also, auf denen schon die ersten Fallensteller die wilden Winterlandschaften Kanadas entdeckten. Auch heute noch kommt man mit Schneeschuhen in Gegenden, die man im Tiefschnee ansonsten kaum oder nur schwer erreichen würde.

Zum Beispiel in die Wälder rund um den Emerald Lake im Yoho Nationalpark. Das Schutzgebiet in den Rocky Mountains von British Columbia ist gut zweieinhalb Stunden von Calgary entfernt und gilt als der kleine Bruder der weltbekannten Parks Banff oder Jasper. Er wird auch deutlich weniger besucht, ganz besonders auch im Winter. Hier kann man dem Alltag tatsächlich noch entfliehen.

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Als ich im Dezember am Emerald Lake unterwegs war, hatte ich die Gegend fast für mich allein. Überraschend – denn in Yoho hatte es mit über einem Meter sogar mehr Schnee als in Banff oder Jasper. Der Grund: Der Park liegt jenseits der kontinentalen Wasserscheide. Viele Schneewolken schneien sich dort ab, weil sich der nahe Kicking-Horse-Pass ihnen in den Weg stellt.

Also schnappte ich mir Skistöcke und schon ging es mit den Schneeschuhen in knapp zwei Stunden um den See herum. Mal nutzte ich ausgetretene Pfade, mal schuf ich meinen eigenen Trail im Tiefschnee (was anstrengend ist!). Mein größter Spaß: Wie ein Kind sprang ich durch den Pulverschnee und wirbelte Millionen feine Schneekristalle auf. Niemand hat meinen Unfug gesehen. Ich war ja (beinahe) für mich.

Mehr Infos zum Yoho Nationalpark im Winter:
Recommended winter trails – Yoho National Park (canada.ca)

 

  1. Zum Langlaufen und Hundeschlittenfahren:

Ein besonders guter Skifahrer bin ich trotz all der Jahre in Kanada nie geworden. Ich komme grüne Hügel gut hinunter, ein Profi aber bin ich nicht. Ich bevorzuge leichtere Abfahrten oder, besser noch, eine Tour auf Langlaufskiern durch flaches Terrain. Besonders gerne habe ich den „Great Divide Trail“, der von Lake Louise im Banff Nationalpark bis in den Yoho Nationalpark nach British Columbia führt.

Die Strecke ist hin- und zurück knapp 20 Kilometer lang mit gezogenen Loipen für Klassiker und einer Bahn für jene Skifahrer, die das Skaten bevorzugen. Die Route folgt einer stillgelegten Trasse des Trans-Kanada-Highway und hält am Wendepunkt einen besonderen Höhepunkt bereit: den alten historischen Torbogen aus Holz, der den ersten Touristen einst den Eingang zum Banff Nationalpark markierte.

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Noch immer spannt sich der mächtige Bogen mit der Aufschrift „Great Divide“ an der Grenze zwischen Alberta und British Columbia über den alten Highway, der heute im Sommer als Radweg und im Winter als Skistrecke fungiert. Nur wenige Besucher bekommen ihn je zu Gesicht. Eine Skifahrt dorthin ist für mich jedes Mal ein erhabener Moment, ein Gruß aus der Vergangenheit, als Banff noch einsam war.

Auf dem Weg zurück dann auf einmal Hundegebell! Ich war noch wie im Trance mit mir und der Natur, als mir ein Gespann mit Hundeschlitten entgegenkam. Auch die nutzen die Trasse im Winter für ihre Ausfahren mit Besuchern aus aller Welt. Schöne Huskys, knirschender Schnee und im Hintergrund der Gipfel des Mount Temple in der Abendsonne – mehr Winterwunderland geht nun wirklich nicht.    

Mehr Infos zum Langlaufskifahren in Lake Louise:
Recommended cross-country ski trails in the Lake Louise area – Banff National Park (canada.ca)


Jörg Michel

arbeitet als freier Journalist, Buchautor und Auslandskorrespondent in Kanada. Nach über zehn Jahren bei einer Tageszeitung in Berlin war er 2010 nach Kanada ausgewandert. Dort lebte er unter anderem in Banff, Jasper und Victoria bevor er nach Calgary zog. In Kanada hat er alle Provinzen und Territorien bereist, meist mehrmals. Im 360-Grad-Verlag sind von ihm zwei Reiseführer „abseits der ausgetretenen Pfade“ erschienen: einer über Alberta, einer über British Columbia.
Kanada – British Columbia: 50 Highlights abseits der ausgetretenen Pfade
Kanada – Alberta: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade
Auf Social Media finden Sie ihn auf Facebook (@storiescanada) und Instagram (joerg_stories_canada)
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