Gastbeitrag: Auf Knochenarbeit in den Badlands

Veröffentlicht am 27.06.2023

Robert
Jörg Michel - Blog

Im Dinosaur Provincial Park unterwegs, ein Gastbeitrag von Jörg Michel

Jörg in Kanada (2) – „Auf Knochenarbeit in den Badlands“

Irgendwo hier müssen die Knochen vergraben sein. In einem lehmigen Erdloch voller Sand, Geröll und Stein. Mit meiner Bürste durchkämme ich vorsichtig den lockeren Boden. Mein Rücken schmerzt, meine Knie sind aufgescheuert – doch außer Kieselsteinen fördert mein Graben zunächst nichts zutage.

Es ist Frühsommer. Ich bin auf Knochenarbeit im Dinosaur Provincial Park im Südosten von Alberta. Genauer gesagt suche ich nach Fossilien von Dinosauriern, und zwar am Knochenbett mit der Nummer 30, einem der angeblich ergiebigsten Dinosaurier-Friedhöfe der Welt.

500 Dino-Knochen aller Art haben Forscher in diesem Knochenbett schon ausgegraben, im gesamten Dinosaur Provincal Park sind es Tausende. Dazu kommen Versteinerungen von kleinen Reptilien wie Schildkröten, Krokodilen oder Echsen. Ob auch ich welche finde?

Der 80 Quadratkilometer-Park gehört wegen seinen Fossilien zum Weltkulturerbe. Vor 75 Millionen Jahren zogen die Riesen-Reptilien hier in großen Herden durch die Lande, als die Prärien von Alberta riesige tropische Urwälder waren, mit gigantischen Bäumen, wilden Stränden und reißenden Flüssen.

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Heute ist das Gebiet eine Wüste, auch Badlands genannt. Am Eingang wirkt der Park wie eine Mondlandschaft, wie ein riesiges Waschbrett aus Gestein, mit tiefen Canyons, in denen der Red Deer River Millionen Fossilien freigelegt hat. Es ist ein Paradies für Paläontologen – und Dino-Fans wie mich.

Auf ein- oder zweitägigen Touren können sich Besucher in dem Park, der rund 220 Kilometer südöstlich von Calgary liegt, unter Anleitung von Wissenschaftlern auf der Suche nach Knochen selbst durch die Erdgeschichte graben. „Dino Dig“ heißt das Programm. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Erstmal sind da die strengen Gesetze, denn die Fossilien stehen unter Schutz. Also habe ich vor Beginn meiner siebenstündigen Ausgrabung eine eidesstattliche Versicherung unterschrieben und beteuert, keine Fundstücke zu zerstören oder mitzunehmen. Sonst drohen 50.000 Dollar Strafe, Gefängnis gar.  

Dann ist da die unerbittliche Natur. Bis zu 40 Grad heiß kann es in den Schluchten des Red Deer River werden, Schatten hat es keinen, auch kein Trinkwasser. Dazu kommen Klapperschlangen, Kojoten und Kakteen. „Pass immer genau auf, wo Du Dich hinsetzt oder hinkniest“, hatte man mich gewarnt.

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Gesagt, getan. Mittlerweile ist es später Vormittag am Knochenbett Nummer 30, einem Feld so groß wie der Garten eines Hauses. Ich setze eine Brille auf und streife mir eine Wollmütze über, um meine Augen und Ohren von Wind uns Staub zu schützen.

Meine Wasserflasche und die Werkzeuge trage ich in einer Gürteltasche, die mir der Park zur Verfügung gestellt hat. Sie enthält eine kleine Schaufel, einen Hammer, einen Meißel. Dazu eine Art Zahnstocher aus Metall sowie Bürsten, mit denen die Knochen aus dem Sediment herausgelöst werden sollen.

Nach zwei Stunden erfolglosem Buddeln ist Mittagspause. Ich strecke meinen Rücken durch und lockere meine Muskeln. Mein Guide nutzt die Gelegenheit, um mehr über die Geschichte der Knochenbetten zu erzählen. Was ist in Urzeiten vorgefallen? Warum sind hier ganze Gruppen von Dinos umgekommen?

„In Urzeiten müssen sich hier wahre Apokalypsen abgespielt haben“, erklärt er. Während der Oberkreidezeit vor rund 75 Millionen Jahren lag Alberta nahe der Küste in einem Delta mit mächtigen sedimentreichen Flüssen. Es war ein riesiger Jurassic Park mit Stürmen und Gewittern.

Dabei soll es zu schlimmen Naturkatastrophen gekommen sein, zu mächtigen Flutwellen oder auch Überschwemmungen. Diese sollen ganze Herden von Dinosauriern ausgelöscht haben. Darum gibt es im Park so viele Fundstellen mit ganzen Gruppen von Dinosauriern.

Und schon geht es weiter mit der Knochenarbeit. Eine Stunde, zwei Stunden. Als ich die Hoffnung schon beinahe aufgegeben habe, wird meine Ausdauer doch noch belohnt. Es ist kurz vor drei Uhr, als ich auf einmal eine Struktur im Gestein ausmache. Ist es nur ein Stein? Oder doch ein Fossil?

Ich streiche mit meinem Pinsel vorsichtig um den harten Gegenstand herum, streife die Tonerde ab. Der Guide kniet sich zu mir, streicht mit dem Finger über den Stein und klopft er vorsichtig auf die Oberfläche. Klack, klack, klack. Der Ton klingt nicht kompakt, sondern irgendwie gedämpft und hohl.

Ich kann es kaum glauben: Ich habe einen Wadenknochen eines Centrosaurus Apertus vor mir, einem sechs Meter langen Pflanzenfresser mit mächtigem Nasenhorn und Nackenschild, der einmal unserem heutigen Nashorn geglichen haben muss. Wow! Noch aber ist die Arbeit aber nicht beendet.

Mit einer Pipette tropfen wir eine zähe Flüssigkeit auf den Knochen. Es ist eine Art Schutzfilm, der den Fund konservieren soll, bis ein Forscher weiter gräbt, bis der Knochen – mein Knochen – einmal komplett frei liegt. Danach landet er vielleicht in einem Museum irgendwo auf der Welt.

Meine Rückenschmerzen habe ich längst vergessen.

Infos:
Geführte Ausgrabungen im Dinosaur Provincial Park finden in den Sommermonaten an zwei bis drei Tagen die Woche statt, dauern sieben Stunden und kosten $200 pro Person. Besucher sollten mindestens zwei Liter Wasser mitbringen sowie Snacks zur Mittagspause, außerdem Sonnenschutz und Anti-Moskito-Spray. Mehr Infos und verfügbare Daten gibt es hier: Guided Excavation 1-Day – Dinosaur Provincial Park | Alberta Parks

Allgemeine Informationen zum Park: Dinosaur PP – Dinosaur Provincial Park | Alberta Parks

Mehr Informationen über die Badlands von Alberta gibt es auch im Reiseführer von Jörg Michel aus dem 360-Grad-Verlag: Kanada – Alberta: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade

 

Jörg Michel arbeitet als freier Journalist, Buchautor und Auslandskorrespondent in Kanada. Nach über zehn Jahren bei einer Tageszeitung in Berlin war er 2010 nach Kanada ausgewandert. Dort lebte er unter anderem in Banff, Jasper und Victoria bevor er nach Calgary zog. In Kanada hat er alle Provinzen und Territorien bereist, meist mehrmals. Im 360-Grad-Verlag sind von ihm zwei Reiseführer „abseits der ausgetretenen Pfade“ erschienen: einer über Alberta, einer über British Columbia.
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