Gastbeitrag: Mit dem Rocky Mountaineer von Vancouver bis Banff

Veröffentlicht am 01.02.2024

Robert
Jörg Michel - Blog

Mit dem Rocky Mountaineer von Vancouver bis Banff

Jörg in Kanada (4) – Ein Gastbeitrag vom in Kanada lebenden Journalisten Jörg Michel

Es ist kurz vor acht Uhr morgens in Vancouver. Über den Hochhäusern am Harbour Center ist gerade die Sonne aufgegangen. Wir stehen in einem renovierten Schuppen der Canadian National Railway im Stadtteil Strathcona und warten auf den Beginn unseres Abenteuers. Unsere Koffer haben wir bereits aufgegeben, jetzt blicken wir mit hunderten Passagieren erwartungsvoll aufs Gleis.

„Alle einsteigen, bitte“, ruft schließlich eine Zugbegleiterin, und schon sind wir unterwegs. An Bord des luxuriösen Panoramazuges Rocky Mountaineer wollen wir die nächsten zwei Tage durch die majestätischen Naturlandschaften im Westen von Kanada fahren. Von Vancouver nach Banff, über knapp eintausend Kilometer, vom Pazifik bis in die Nationalparks der Rocky Mountains.   

„First Passage To The West“ heißt die 957 Kilometer lange Strecke und der Name ist Programm: Wir bewegen uns auf historischen Gleisen, an denen der Staat Kanada einst vollendet wurde. Im 19. Jahrhundert brachte die transkontinentale Eisenbahn Millionen Einwanderer und Siedler ins Land. Die Züge galten als eine Art Geburtshelfer für die damals noch junge und aufstrebende Nation.  

Heute ist der Rocky Mountaineer der einzige regelmäßig verkehrende Passagierzug, der den südlichen Streckenabschnitt durch die Rocky Mountains noch bedient. Mit uns an Bord sind Urlauber und Eisenbahnfans aus aller Welt. Wir haben es uns gerade auf unseren Panoramasitzen bequem gemacht und schlürfen an unseren Begrüßungscocktails, als sich der Zug in Bewegung setzt.    

Die Waggons wackeln, die Bremsen quietschen, das Horn pfeift: Zwei blaue Diesel-Loks mit einer Leistung von jeweils 6.000 PS ziehen die Waggons aus dem Bahnhof. In der Ferne können wir noch die Skyline von Vancouver erkennen, aber schon bald verschwindet die Innenstadt aus dem Blickfeld. Ab jetzt folgen wir dem Fraser und dann dem Thompson River, um in Richtung Rocky Mountains zu fahren.

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Wir schauen uns um: Wir haben die „Gold Leaf“-Klasse gebucht, die aus zwei Stockwerken besteht. Oben sitzen wir unter gewölbten Panoramafenstern und lassen großartige Landschaften an uns vorbeiziehen. Unten serviert uns die Küchencrew zweimal am Tag frische Mahlzeiten. Wir können unter sieben verschiedenen Gerichte zum Frühstück wählen. Der Avocado-Toast mit Tomaten ist lecker.

Es ist eine Reise, die an die Anfänge der Eisenbahn erinnert: Das Tempo des Zuges ist gemächlich, der Weg ist das Ziel. Erst überqueren wir den Fraser River auf Eisenbahnbrücken, danach fahren wir durch tiefe Schluchten und Canyons. Am „Hell’s Gate“ staunen wir nicht schlecht. Die Klamm ist engste Stelle des Flusses, 750 Millionen Liter Wasser rauschen dort pro Minute über ein paar Stromschnellen.

Als wir das Binnenland von British Columbia erreichen, ändert sich der Anblick. Wir fahren durch heiße Wüsten und Steppen. Am Himmel drehen Adler und Fischadler ihre Runden, während Dickhornschafe durch die kargen Buschlandschaften aus Salbei und Beifuß streifen. Am Nachmittag stoppen wir in Kamloops und steigen aus. Busse bringen uns für die Nacht in unsere Hotels. 

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Am Morgen zieht der Duft von gebratenen Speck durch die Waggons. Wir fahren weiter in Richtung Rocky Mountains, vorbei an idyllischen Seen, Nadelwäldern und Wasserfällen. Gelegentlich erkennen wir eine Holzhütte im Dunst, während der Zug an kleinen Weilern und Dörfern vorbeifährt. Allerorten stehen Neugierige an der Bahntrasse und winken uns zu. Wir winken zurück.

Zur Mittagspause verspricht die Karte in der Gold-Leaf-Klasse drei Gänge. Zur Vorspeise gibt‘s gebeizten Lachs auf Salat, dazu Naan-Brot mit Paprikaaufstrich. Beim Hauptgang haben wir die Qual der Wahl. Nudelpfanne mit mariniertem Tofu? Frisches Steak aus Alberta mit Chimichurri-Kartoffeln? Gebackenes Hähnchen aus dem Fraser Valley mit Waldpilzen? Wir entscheiden uns für die Nudelpfanne.

Zum Nachtisch bekommen wir Käsekuchen, dazu ein Kompott mit Früchten aus dem Okanagan Valley, einem der wichtigsten Obstanbaugebiete Kanadas. Noch sitzen wir im Speiseabteil, als der Zug am Eagle Pass im Weiler Craigellachie bremst. Am 7. November 1885 wurde hier der letzte Nagel der transkontinentalen Eisenbahn in eine Schwelle getrieben, was die Einheit Kanadas vollendete.   

Ein Denkmal am Gleis erinnert heute an den historischen Augenblick. Aus dem Zug heraus machen wir ein paar Fotos, danach fahren wir weiter nach Osten. Zuerst erkennen wir in der Ferne die Gipfel der Columbia Mountains, danach die der Rocky Mountains. Die schneebedeckten Dreitausender leuchten im gleißenden Licht. Wir fahren über Pässe, durch Täler und Schluchten, vorbei an Gletschern und Seen.  

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Am Kicking Horse Pass erleben wir den beeindruckendste Moment der Reise: Die Loks ziehen die zwölf Waggons durch zwei spiralförmige Tunnels auf eine Höhe von 1.626 Meter, was der höchsten Punkt unserer Reise ist. Uff! Oben angekommen rollen wir entspannt durch den ältesten Nationalpark Kanadas nach Banff. Klare Seen leuchten im Abendlicht, die Waggons spiegeln sich auf der Wasseroberfläche.

Die Sonne wirft schon lange Schatten, als in den Panoramafenstern die ersten Häuser auftauchen, dann das weltberühmte Banff Springs Hotel. Um neun Uhr fahren wir in den Bahnhof von Banff ein. Nach fast 25 Stunden Fahrt an zwei Tagen verlassen wir unsere Waggons. Eine kühle und frische Luft weht uns um die Nase, es riecht nach Natur pur. Angekommen! Eine traumhafte Fahrt geht zu Ende.

ENDE

Infos:
— Der Rocky Mountaineer verkehrt von Mitte April bis Ende Oktober und bietet zwei Klassen: Die „Gold Leaf“ Klasse bietet Panoramawagen, dazu Mahlzeiten und Getränke im Speiseabteil.
      In den Standard-Waggons der „Silver Leaf“ Klasse wird das Essen am Platz serviert.

— In Kanada fährt der Zug auf drei verschiedenen Routen in die Rocky Mountains. Die Strecke „First Passage To The West“ von Vancouver über Kamloops nach Banff ist die populärste.

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Jörg Michel arbeitet als freier Journalist, Buchautor und Auslandskorrespondent in Kanada. Nach über zehn Jahren bei einer Tageszeitung in Berlin war er 2010 nach Kanada ausgewandert. Dort lebte er unter anderem in Banff, Jasper und Victoria bevor er nach Calgary zog. In Kanada hat er alle Provinzen und Territorien bereist, meist mehrmals. Im 360-Grad-Verlag sind von ihm zwei Reiseführer „abseits der ausgetretenen Pfade“ erschienen: einer über Alberta, einer über British Columbia.
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